Samstag, 14. März 2015

Auf die bunte Medienwelt des Westens reingefallen: Boris Nemtsov

Ich kannte ihn nicht, aber im Fernsehen macht er einen sympathischen Eindruck, und es ist traurig, einen solchen Menschen zu verlieren.

Dennoch habe ich Kritik. Im ARD-Interview redet er, als seien die westlichen Medien mit ihm befreundete Vorbilder und Maßstäbe für Demokratie und Rechtstaatlichkeit. Aber ARD & ZDF sind unermesslich reiche Überwachungs- und Informations-Imperien, und ihre Journalisten sind fremdgesteuerte Rädchen in einem sanften faschistischen Getriebe. Was Boris Nemtsov über die Mafia in der russischen Regierung sagt, das trifft doch auch auf deutsche Machtverhältnisse zu. Was glaubt er denn, aus welchem Geheimdienst der BND hervorgangen ist, und aus welchem Reich die Bundesrepublik. Ich erwarte bei solchen Interviews mit russischen oder muslimischen Systemkritikern dann manchmal, dass einem von der Fernseh-Crew der Kragen platzt und er den Kritiker endlich aufklärt: Das ganze Westfernsehen dient auch nur der Überwachung, Einhegung und Gleichschaltung, kaschiert als Unterhaltung und Verbraucherinformation, ohne dass die Bevölkerung das merken soll. Auch vermisse ich entsprechende Nachfragen an den Kritiker, ob er denn keine Amerika und West kritischen TV-Sender oder Webseiten konsumiert? Was meinen Sie denn, wie der Westen funktioniert und warum Deutschland wirtschaftlich so erfolgreich ist - doch nicht in dem Medien und Geheimdienste gegeneinander arbeiten? Haben Sie noch nie den Begriff Deutschland-AG gehört? Alle Autoritäten und Institutionen arbeiten Hand in Hand. Kritik gibt es nur in den extra dafür geschaffenen Sandkästen. Wie etwa in System kritischen Weblogs, die keiner liest - ausser die Überwachungs-Mafia.

Die Internet-Technologie wurde von Vinton Cerf Anfang 1973 als Teil eines Projekts unter dem Vorsitz von Robert Kahn entworfen und von der Advanced Research Projects Agency (Forschungsprojektagentur) vom US-amerikanischen Verteidigungsministerium durchgeführt. Danach bemühte sich Cerf, das Internet aufzubauen, zu skalieren und zu standardisieren. 1984 wurden die Technik und das Netzwerk privaten und öffentlichen wissenschaftlichen Agenturen zur weiteren Entwicklung übergeben.

Wer bei US-Verteidigungsministerium nicht auch an die CIA denkt, erscheint naiv und schlecht informiert. Vielleicht hat Boris Nemtsov das Internet mit dem WWW verwechselt.

Hofstetter im Interview ausgetrickst

Hofstetters Befürchtung, die Maschinen könnten unsere Demokratie, unseren Rechtstaat, unser Menschsein bedrohen, mutet angesichts dessen, dass es eine solche Fortschrittskritik seit Jahrzehnten, wenn nicht Jahrhunderten gibt, und somit der Tatsache, dass Demokratie, Rechtstaat und Menschein nurmehr Fiktionen, Werbeversprechen und Propaganda sind und nicht wirklich existieren, als biederer Balsam für den Mainstream an, der noch an diese Dinge glaubt. Dann wurde die Macht des Maschinensystems mit Gott und der Bibel verglichen, was in unserem Kulturkreis eine positive Konnotierung ist. Richtiger wäre es gewesen auch vom Teufel zu sprechen, und einer Hölle, auf die die Menschheit zugeht. Immerhin hat laut Bibel die Menscheit ihren Anfang im Paradies genommen, aus dem sie dann durch eigenes Verhalten vertrieben wurde. Da bleibt für die Menschheit am Ende nur die Hölle. Das wurde aber von beiden geflissentlich verschwiegen.
Hofstetters Beschreibung, dass nun erstmals der Mensch selber zum Gegenstand wirtschaftlicher Optimierungsstrategien geworden sei, erscheint als Geschichts vergessender Schwachsinn, denn jeder Herrscher hat seine Untertanen und insbesondere das Militär, nach seinen Effizienzkriterien optimiert. Und die Neuzeit hat das augenfällig weitergeführt mit der Fliessband- und Akkordarbeit. Ganze Heerscharen von Experten sind seit langem damit beschäftigt, den Menschen und seine Arbeitsabläufe zu analysieren und zu optimieren. Der Fortschritt hat auch die Arbeits-Optimierungs-Experten mit immer raffinierterer Technologie zur Überwachung und Analyse ausgestattet, womit die Beobachtung und die Beobachter immer verborgener und unbemerkter agieren können. Was ist neu? Vielleicht dass der Mensch, das Individuum als Objekt sich dem nicht mehr entziehen kann, weil die Seite der Überwacher ein einziger, global vernetzter Organismus ist, der über raffinierteste Überwachungstechnologie und unermessliche Reichtümer verfügt. Ein gefrässiger Super-Organismus, ein Raubtier, ein Alien, wie in zahllosen SciFi-Thrillern beschrieben. Der normale Mensch ist da wie ein Nacktmull in einer Schlangengrube. All das scheint Yvonne Hofstetter zu ahnen und will es vielleicht öffentlich sagen, wird aber von Interviewern in den Leit- und Massenmedien durch raffinierte Gesprächsführung daran gehindert. So zumindest mein Eindruck, weil oder trotzdem ich ihr Buch (noch) nicht gelesen habe.

Dienstag, 3. März 2015

Buchkritik: Y. Hofstetter - "Sie wissen alles"

Unehrlich ist die Autorin, weil sie behauptet aufzuklären, aber wichtige Dinge verschweigt, verharmlost und verschleiert. Überaus naiv oder die Leser verkackarschend, weil sie eine heile Welt von Demokratie, Rechtstaat und humanistischer europäischer Geschichte als real behauptet, die tatsächlich nicht existiert und die Restwelt damit quasi zu Barbaren erklärt. Eitel, weil sie lieber schöne Begriffe verwendet die verschleiern und verharmlosen, als einfache Worte der Klarheit, und weil sie ihr militärisches Wissen selbstgefällig und in einer Gott gleichen Erzählhaltung episch ausbreitet, als sei ihr Buch ein Roman, anstatt ein Sachbuch über eine dramatische angebliche oder tatsächliche Bedrohung der Menschheit. Das Buch ist teils politisches Pamphlet, teils militärischer Groschenroman. So beschreibt sie an einer Stelle über mehrere Seiten lang minutiös eine militärische Situation mit ua dieser Stelle: "Möglicherweise Astro!", schreit jemand durch den Dunkelraum. 'Astro' ist der Codename für eine F-14. Der Ruf elektrisiert den Identification Officer. Sein Körper schüttet eine hohe Dosis Adrenalin aus. Der Einsatz des IFF-Systems könnte Klarheit schaffen." Die Autorin ist nationalkonservativ, weil sie in den alten Kategorien eines Wettkampfs der Nationen denkt, von deutschen moralischen Werten schwadroniert, sie den Begriff Migrant als Schimpfwort, als Beleidigung auffasst, wie in einem 3sat-Interview deutlich wurde, in welchen sie sich gleich zu Anfang über die Bezeichnung "digital immigrant" für ihre Generation beschwerte. Die Autorin macht die Fehler selbst, die sie den Datensammlern vorwirft. Sie stellt zwar eingangs fest, die Abstraktheit der Problematik habe bisher eine Alarmwirkung in der breiten Bevölkerung verhindert, aber anstatt als Insiderin diesen Mißstand nun endlich mit anschaulichen Beispielen zu beheben, ist sie mehr damit beschäftigt, schöne Worte und Vergleiche zu finden, die dann ziemlich daneben gehen, als inhaltlich mal konkret und anschaulich zu werden. Wenn sie beispielsweise die Computer gleichsetzt mit dem Motor eines Autos, Big Data als Treibstoff bezeichnet, und das Internet als Chassis des Autos, dann ist das mehr eine Verharmlosung und Verschleierung, als eine Veranschaulichung der realen Verhältnisse. Und wenn sie den Umgang der Sammler mit Big Data hin zu einem Risiko, als Mutation bezeichnet, anstatt allein schon die Motivation und das Wachstum zu schierer Grösse als Problem zu erkennen, dann ist auch das eine Verkennung der Realität. Ein Kapitel betitelt sie mit der Forderung, eine klare Grenze zwischen Mensch und Maschine zu ziehen, lässt sich dann aber im o.g. Fernsehinterview zu ihrem Buch zu der Aussage verführen, der Algorithmus der Maschinen sei quasi deren Seele, worauf der Interviewer feststellt, daß man nun die Maschine vermenschlicht habe. Tatsächlich aber ist eine Maschine klar in Hardware und Software getrennt, und der Algorithmus ist ein Werkzeug der Software - also keine Seele der Maschine. Wenn die Autorin am Schluss ihres Buches Tipps zum Umgang mit den Datensammlern gibt und ua eine Art neues Grundgesetz schreibt, das von Richtern, Polizei und Politikern geschützt und durchgesetzt werden müsse, dann ist das einfach nur noch abgrundtief naiv, wenn nicht gar dumm. Denn schon allein die Polizei ist nicht Teil der Lösung, sondern Teil des Problems. Und unsere unrechtstaatliche, gekaufte und opportunistische Justiz als Hüter von Demokratie und Grundrechten zu erklären, heisst Beamte zu Freiheitskämpfern zu stilisieren. Wenn Hofstetter die Post als Big-Data-Unternehmen bezeichnet, und als Beispiel verkaufte Umzugsdaten nennt, dann ist das unehrlich und eine Leserverdummung. Denn Umzugsdaten hat seit ewigen Zeiten jede Meldebehörde, jedes Ordungsamt in Deutschland, also der Staat, also Polizei, Justiz, Geheimdienste. Und in Zeiten von EDV und IT kann jeder Beamte dort die Meldedaten auf einen USB-Stick kopieren und an Firmen verhökern, was vor Jahren schon geschehen ist und von der Politik sogar per Gesetz genehmigt wurde. Was die Autorin sicherlich weiss, aber verschweigt ist, dass die Post-Computer selbstverständlich alle handschriftlichen Absender- und Empfänger-Adressen lesen und speichern können, ebenso die Art der Postsendung (Karte, kleiner Brief, grosser Brief, Päckchen, Packet usw), vielleicht auch den genauen Ort des Einwurfs (welcher Briefkasten, welcher Stadtteil, interessant falls kein Absender auf der Postsendung) und natürlich das Datum. Sicherlich werden manche, wenn nicht alle Postsendungen auch mit Nacktscannern durchleuchtet, um zu wissen, was drin ist. Also das, was momentan gerne über Facebook, Google und Amazon beklagt wird, die würden unser Beziehungsgeflecht bzw -profil erfassen, das gilt schon lange für die Post. Aber darüber redet keiner, nichteinmal die Autorin des vermeintlich aufklärerischen Sachbuches. Und immer wieder der Rekurs auf angebliche demokratische und humanistische Traditionen Deutschlands und Europas, gerne mit einer Zitierung Kants. Aber was ist Kant mehr als eine Knoblauchzehe in der Hand der Bildungsbürger und Kultureliten, die diese dem Dämon ungezügelter Freiheit und Emotionalität entgegen halten. Was weiss die Aldi-Kassiererin oder KiK-Verkäuferin von Kant? Was interessiert den Banker, den Embryonenforscher, den Maschinenbauingenieur, den Datenhai - kurz gesagt die Produktivkräfte, aber auch Polizei und Geheimdienste der Philosoph Kant? Immer wieder wurde festgestellt, dass die praktisch hilfreichsten Gegner der Nazi-Diktatur nicht das Bürgertum war, sondern die einfachen Leute. Die drei bekanntesten Widerstandskräfte gegen den Nazifaschismus waren Georg Elser, ein einfacher Schreiner, die Weisse Rose mit ihrem beliebtesten Mitglied Sophie Scholl, die weniger philosophische als internationalistische, mitmenschlich-emotionale und religiöse Motive für ihre Opferbereitschaft hatte, und der Soldat Stauffenberg, der vermutlich kaum Kant als Motiv für seinen Widerstand gegen Hitler hatte. Also was sind die europäischen Philosophen mehr als Monstranzen des Bildungsbürgertums, welches diese als Feigenblatt vor ihrer eigenen Skrupellosigkeit und Feigheit vor sich hertragen. Was sind die abstrakten europäischen Philosophien im Vergleich zu den von den Bevölkerungen in Asien gelebten Religionen der Achtsamkeit und des Respekts?! Hofstetter behauptet an einer Stelle, die Datenhaie würden sich nicht für alte, sondern nur für aktuelle Daten interessieren. Die Autorin widerspricht ihrer Behauptung auch dadurch selbst, indem sie eine humanistische Tradition Europas behauptet, wobei sie kaum die jüngere Geschichte mit Faschismus in Deutschland, Italien, Spanien, Griechenland, Frankreich, Rumänien und weiteren Ländern meinen kann, sondern offenbar meint sie die alten Zeiten der Vormoderne - also alte Daten, aus denen sie unter Ignorierung jüngerer Daten positive Prognosen für die Zukunft herleitet. Vermutlich auch irgendwo im Buch, in jedem Fall aber im Vis-a-Vis-Interview auf 3sat tritt Hofstetter gegen den Sozialstaat, spielt ihn aus gegen Investitionen in die technologische Zukunft. Kann es wirklich sein, dass eine Unternehmerin der Rüstungsindustrie, die sicher besonders im Fokus von Geheimdiensten steht, kritisches Insiderwissen in die breite Öffentlichkeit trägt? Die Antwort heisst vermutlich wie auch bei den meisten Whistleblowern: solange sie weder plastisch anschaulich werden, noch die wirklich brisanten Herrschaftstechnologien, wie etwa das technische Gedankenlesen, die wahre Big Brother Technologie, und die Gott gleichen Manipulationsmöglichkeiten der Quanten- oder Kernphysiker und der Stringtheoretiker bestätigen oder öffentlich machen, solange können diese Pseudo-Whistleblower ganz gross in den Medien präsentiert werden und schreiben was sie wollen. Die Deutschen vor den Datensammlern aus Amerika zu warnen ist pseudo-kritisch, harmlos und in diesem Lande wohlfeil. Fazit: Hofstetter ging es mit ihrem Buch offenbar primär darum, ihr militärisch gedrilltes Unternehmerherz einmal der zivilen Öffentlichkeit auszuschütten, damit einiges Geld zu machen und bekannt zu werden, ohne wirklich Brisantes und Aufrüttelndes preiszugeben.